09.02.2010

Einsichten

Ich will Euch ein wenig teilnehmen lassen, an dem, was ich erlebe:

KINDERHEIM:
Heute ist ein 'neues' Kind angekommen, wie alle anderen Kinder ist auch die kleine 3,5-jährige HIV positiv. Ihre Mama ist an Aids gestorben und der Papa kann sich nicht um sie kümmern. Nache dem gemeinsamen Mittagessen ist der Papa dann gefahren ... wie das Kind sich wohl fühlt? Beim Abendessen wirkte sie noch immer sehr schüchtern, und dennoch ist es so toll zu sehen, wie die anderen Kinder den Neuling integrieren.
Gestern Abend war ich mal wieder bei den Kids, einer der älteren Jungs hat gezaubert, genial! Ich bin maximal davon begeistert, wie die Kinder sich gegenseitig helfen, die Größeren den Kleineren, die Stärkeren den Schwachen. Geteilt wird immer, das ist selbstverständlich. Und selbstverständlich ist auch, dass sie beim Alltäglichen mithlefen.

HOSPIZ:
Hier verbringe ich die meisten Stunden des Tages. Was ich mache? Ich baue Beziehungen auf. Ich entdecke Spass an Bewegung, bei mir und den Bewohnern, also bewegen wir uns. Zwischendurch einige Gespräche.
Da ist eine Bewohnerin, die einen Freund in England hat ... also helfe ich ihr SMS in englisch zu schreiben und teile die Sorge, wie der Freund wohl reagiert, wenn er erfährt, dass sie Aids krank ist. Genauso teile ich die Freude, wenn diese Frau dann erzählt, dass der Freund kommt und seine Hilfe zugesagt hat.
Da ist eine andere Frau, so alt wie ich, deren Tochter in Holland lebt. Sie selbst ist seit 22 Jahren positHIV, die Tochter nicht. Wie geht es einer Mutter mit dieser Diagnose, getrennt von ihrem Kind?
Ich habe einmal geschrieben, dass Rayong nur 35 Kilometer von Pattaya entfernt ist. Pattaya ist bekannt bei Touristen, leider auch sehr bekannt unter den Sextouristen. Da ist ein junger Mann, der seit zwei Jahren positHIV ist, seine Sexarbeit führte ihn vier Jahre lang nach Deutschland und zuletzt nach Pattaya. Dort hat er täglich eine Flasche Alkohol getrunken, bevor er seinen Dienst angetreten hat. Warum? Damit er Mut hatte mit den Kunden zu reden.
Da ist ein anderer Mann mit 30 Jahren, der, wie so viele, TBC hat und im wahrsten Sinne nur 'Haut und Knochen' ist. Seine Freundin hat ihn verlassen, als er nicht mehr arbeiten konnte. Die ältere Schwester kümmert sich um ihn und kommt ihn besuchen. Gestern erzählte sie mir, dass ihr Liebhaber sie verlassen hatte, weil Aids in der Familie sei.

Die Angst vor der Krankheit ist wirklich sehr präsent und dennoch ist die Zahl der Neuinfektionen immer noch steigend. 88% der Infektionen sollen hier durch sexuelle Kontakte verursacht sein. Leider sammeln viele junge Menschen ihre ersten sexuellen Erfahrungen in entsprechenden Rotlichtmilieus, weil man über Sex nicht spricht ... man macht es nur, frau auch! Selbst viele StundentInnen verdienen sich ihr Geld im Sexgewerbe und so wird klar, dass sich HIV/ Aids durch alle Gesellschaftsschichten zieht, auch wenn es viel mehr Infizierte sind, die in armen Lebensverhätnissen leben.

HAUSBESUCHE:
Armut ist hier am besten zu sehen und dennoch fehlt es nirgends an Herzlichkeit, auch wenn der Schmerz der Lebensgeschichten heftig drückt.
Ein Kind mit Behinderung, dessen Mutter eine Auszeit brauchte, kam für einen Monat ins Sozialzentrum der Kamillianer. Seitdem muss die Mutter, nicht nur mit dem Schicksal der Behinderung ihres Kindes und dem Kampf ums Überleben, sondern auch gegen Vorurteile der Nachbarn kämpfen. Die zerreißen sich die Münder und sagen dass 'AIDS' in der Familie sei. Wenn das Auto der Kamillianer anrückt, dann sieht man 'AIDS'. Auch das macht deutlich, wie viel Aufklärungsbedarf bei den Menschen besteht. Auch das erklärt, warum viele Patienten an anderen Orten im Land zur Pflege kommen.
Das Kind ist übrigens der Sonnenschein in einem sonst sehr dunklen Haus. Es gibt kein Fenster, aber immerhin gemauerte Wände, auch wenn diese nicht verputzt sind und keine Farbe haben. Es ist ein 1-Raum Appartment mit einem Bad. Die Küche befindet sich vor der Tür. Viele Habseligkeiten gibt es nicht, da braucht es also auch nicht viel Platz.
In ähnlichen Räumen wohnt auch eine ältere Frau, die drei Kinder betreut. 2, 7 und 12 Jahre. Der Zweijährige mag es mit dem Ball zu spielen und hat ein bezauberndes Lächeln. Die meiste Zeit liegt er in einem Bretterverschlag vor der Tür, der Küche. Es fällt ihm schwer sich zu bewegen und wenn er sich zur Seite dreht, dann ist das eine ordentliche Kraftanstrengung. Der älteren Frau schmerzt auch schon der Rücken, denn wann immer man den Kleinen, trägt oder hält, eine Hand muss den Kopf stützen, ... ein Wasserkopf, so groß wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Der 12-Jährige muss jeden Tag viele Medikamente schlucken und wird da ziemlich in Verantwortung genommen, denn Lesen und Schreiben kann die ältere Frau nicht. TBC setzt dem Grossen so zu, dass er seit drei Monaten nicht in die Schule gehen kann und das gefällt ihm natürlich nicht. Nun gilt es zu schauen, wie man helfen kann.

Dass man helfen kann und Hilfe zum Leben führt, sieht man an sehr vielen Menschen hier im Zentrum. Ehemalige Patienten finden hier Beschäftigung und sind natürlich die besten Ratgeber.

Nicht immer geht es so 'gut' aus. Letzte Woche begleitete ich einen Deutschen im Sterben. Er hatte keine Versicherung und niemanden, der für ihn zahlt. Auch das ist eine Realität vieler Landsleute, die von einem 'billigen' Leben in Thailand träumen und dann 'teuer' dafür bezahlen.

Ich habe noch keine Photos gemacht, denn es passt nicht für mich. Ich bin sicher, dass ihr Euch selbst ein Bild machen könnt.
Wenn Ihr Euch ein BILD MACHT, dann seid gewiss, dass es SEHR BUNT ist. Denn gerade die Kids, die hier leben, bringen so viel Leben und Liebe an diesen Ort, dass man sich einfach wohlfühlt. Ich tue es!